INNENSICHTEN
«Das Leben ist nicht leicht, wenn Du schwer bist.»
Wie geht es Menschen, die mehr Gewicht auf die Waage bringen als familiär, gesellschaftlich als akzeptabel gilt? Viele Menschen haben eine lange Geschichte von Abwertung seitens von Familien, Freunden, Partnern und Außenstehenden hinter sich. Sie versuchen einen Panzer um sich zu bilden. Das «Problem» zu lösen … Letztlich führt die Frustration im Zweifel zu noch mehr Essen und einem inneren Teufelskreis ….
Alle Abnehmversuche sind gescheitert und häufig im Jojo-Effekt geendet, wer kennt den nicht? So bleibe ich beim Essen, das ist verlässlich da, tut gut, entspannt mich oft. Ein treuer Begleiter, der nichts an mir auszusetzen hat. Betäuben kann es auch ganz gut – also, warum etwas ändern?
Schon wieder eine Kleidergröße größer, langsam wird es echt bedrohlich – wo soll das nur hinführen? Es macht ohnehin keine Freude Klamotten zu kaufen – wer trägt schon gerne Zeltgröße – wie es immer mal wieder spöttisch heißt. Es stresst einfach immer wieder, zu spüren, dass es wieder mehr geworden ist. Wer es? – Ich bin wieder mehr geworden.
Aber das will ich eigentlich gar nicht. ES passiert, wenn ich weiß, dass ich mehr gegessen habe, als ich brauche. Aber inzwischen passiert ES auch ohne, dass ich mehr gegessen habe. Die Zahl auf der Waage wird immer höher.
Mehr werden, heißt immer auffälliger zu werden, noch mehr ins Visier der anderen zu geraten, angestarrt zu werden: „Wie kann man nur so fett sein?“ „Die frisst bestimmt den ganzen Tag!“ In der Öffentlichkeit zu essen, meide ich sowieso.
Überall muss ich das Gewicht mit hinnehmen, kann es nie zuhause lassen und mich entscheiden: Heute gehe ich ohne mein Lebensproblem weg, muss ja nicht jeder wissen, dass das ein Thema für mich ist. Warum habe ich nicht ein anderes Thema, das nicht jedem gleich ins Auge fällt? Dass man mir nicht auf 100 m ansieht?
Die Blicke, denen ich gefühlt unaufhörlich ausgesetzt bin, stressen mich! Immer läuft ein Scanner in den Augen der „Welt“: Ich werde gemustert, in Frage gestellt, ausgemustert. „Was? Du kannst einen ganzen Tag Skifahren? Das hätte ich nicht gedacht!“
Das viel zu hohe Gewicht in der Waagschale fordert einen Ausgleich! Ich muss mehr leisten als andere, weil ich dick bin. Beweisen, dass ich trotzdem etwas leisten kann, obwohl ich dick bin. Arbeiten, Sport treiben … Es ist anstrengend, immer für einen Ausgleich sorgen zu müssen. Ich darf nicht einfach sein. Das Defizit „Gewicht“ gilt es um jeden Preis auszugleichen …
Auch Ärzte und Therapeuten tragen ihr Scherflein zum Elend bei. Immer ist das Übergewicht Grund allen Übels. Egal, womit ich komme.
Von überall prasseln gute Ratschläge auf mich ein – neue Diäten, die garantiert die Lösung bringen – Tabletten, Pülverchen, Kuren … Ungefragt werden mir Angebote gemacht. Das große Problem, das ich darstelle, ist offensichtlich, nicht zu übersehen. So bleiben ist keine Option – geschweige denn so glücklich sein. So möchte einen niemand haben.